Die Krankheitswellen in der Herbst- und Winterzeit treffen Betriebe jedes Jahr hart: steigende Ausfälle, Engpässe in Teams, hoher Koordinationsaufwand im Personalbereich. Zugleich nutzen Beschäftigte zunehmend digitale Angebote, um sich krankschreiben zu lassen. Und das, wie der vor dem LAG Hamm verhandelte Fall zeigt, durchaus auch ohne persönlichen Arztkontakt. Für Arbeitgeber stellt sich die Frage: Muss ein solches „Online-Attest“ akzeptiert werden, und welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen sind möglich?
Gemäß Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie ist ein Praxisbesuch nicht zwingend: Auch Video-Sprechstunden oder telefonische Konsultationen können zu einer wirksamen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung führen. Unverzichtbar ist jedoch, dass eine ärztliche Befundung durch einen approbierten Arzt stattfindet. Reine Fragebögen ohne jeden Arztkontakt genügen diesen Anforderungen nicht, so das Urteil.
Das Angebot klang verführerisch
Ein Arbeitnehmer meldete sich krank und reichte eine Bescheinigung ein, die er bei einem Internetanbieter gegen Entgelt erworben hatte. Gewählt hatte er dort ausdrücklich die Option „AU-Schein ohne Gespräch“. Grundlage war lediglich ein Onlinefragebogen. Kurz darauf erhielt er ein Formular, das wie die frühere gelbe AU gestaltet war, ausgestellt von einem „Privatarzt per Telemedizin“.
Die Website des Anbieters unterschied selbst zwischen Krankschreibungen mit und ohne Arztgespräch. Für die Variante ohne Arztkontakt wurde empfohlen, den Arbeitgeber aktiv um Akzeptanz zu bitten – mit dem Hinweis, dass diese AU im Streitfall vor Gericht einen geringeren Beweiswert habe und sich bei Nichtakzeptanz stornieren lasse.
Die Personalabteilung des Unternehmens wurde stutzig. Bei der Prüfung des Dokuments und nach Durchsicht der Internetseite kamen Zweifel an der Echtheit und an der Tragfähigkeit der Bescheinigung auf. Das Unternehmen sprach daraufhin eine außerordentliche fristlose Kündigung aus.
Betrug mit erkennbarem Vorsatz
Der Arbeitnehmer erhob Kündigungsschutzklage, die das Landesarbeitsgericht Hamm (Az.: 14 Sa 145/25) abwies. Die Richter sahen in der Vorlage der „AU“ einen erheblichen Vertrauensbruch. Der Mitarbeiter habe bewusst den Eindruck erweckt, es liege eine ärztliche Befundung zugrunde, obwohl tatsächlich kein Arztkontakt stattgefunden habe. Gerade auf diese ärztliche Prüfung aber vertraue der Arbeitgeber im Krankheitsfall.
Nach Auffassung des Gerichts darf ein unbefangener, auch nicht besonders sorgfältiger Betrachter davon ausgehen, dass hinter einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine medizinische Untersuchung steht. Der Begriff „Fernuntersuchung“ suggeriert zudem eine Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Der Zusatz „nur mittels Fragebogen“ ändere daran nichts, da er lediglich die Datenerhebung beschreibt, nicht aber einen fehlenden Arztkontakt offenlegt.
Besonders ins Gewicht fiel, dass der Arbeitnehmer diese Konstellation bewusst nutzte, bereits aufgrund der Hinweise des Anbieters ahnend, dass der Arbeitgeber die Bescheinigung nicht akzeptieren würde. Darin sah das LAG einen vorsätzlichen Vertrauensmissbrauch, der eine fristlose Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung rechtfertigt.
Vertrauen darf hinterfragt werden
Für Arbeitgeber zieht das Urteil eine klare Linie: Eine vermeintliche AU, die in Wahrheit keine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsfeststellung enthält, erfüllt die gesetzlichen Anforderungen nicht. Wer ein solches Dokument bewusst einsetzt, riskiert seinen Arbeitsplatz. Umgekehrt sind Arbeitgeber nicht verpflichtet, „Krankschreibungen per Klick“ ohne echten Arztkontakt einfach hinzunehmen – und können in gravierenden Fällen arbeitsrechtlich konsequent reagieren.