Das EU-Recht auf Vergessen landet beim BVerfG

Nicht selten arbeitete sich ein höchstrichterlich verbriefter Anspruch so langsam durch die Instanzen wie das Recht, irgendwann im Internet “verloren zu gehen”. So hatte der Europäische Gerichtshof zwar bereits im Mai 2014 die Privatsphäre des Einzelnen vor das Interesse der Allgemeinheit – hier die der Nutzer der Internet-Suchmaschine Google – gestellt, dennoch verlief die Umsetzung des Urteils mehr als schleppend.

Der Betreiber einer Internetsuchmaschine ist bei personenbezogenen Daten, die auf von Dritten veröffentlichten Internetseiten erscheinen, für die von ihm vorgenommene Verarbeitung verantwortlich. Eine Person kann sich daher, wenn bei einer anhand ihres Namens durchgeführten Suche in der Ergebnisliste ein Link zu einer Internetseite mit Informationen über sie angezeigt wird, unmittelbar an den Suchmaschinenbetreiber wenden, um unter bestimmten Voraussetzungen die Entfernung des Links aus der Ergebnisliste zu erwirken, oder, wenn dieser ihrem Antrag nicht entspricht, an die zuständigen Stellen

EuGH, Az.: C-131/12 | Google Spain SL, Google Inc. vs. Agencia Española de Protección de Datos, Mario Costeja González

Nun hat sich das Bundesverfassungsgericht des Themas angenommen und sich in diesem Zusammenhang auch für zuständig erklärt für die Kontrolle der richtigen Anwendung der Unionsgrundrechte durch deutsche Gerichte. Dabei kooperiert es eigener Aussage zufolge eng mit dem EuGH. Erstmals in der Geschichte des BVerfG hat es nicht über Fragen des Grundgesetzes entschieden, sondern über die der Grundrechtecharta der EU (GRCh). Der Grund dafür ist die EU-einheitliche Regelung des Datenschutzes, Anlass war ein Hindernislauf einer Klage gegen Google durch die Instanzen, wobei das Landgericht der Klägerin recht gegeben und die Löschung eines Eintrags angeordnet, das Oberlandesgericht jedoch diese Entscheidung aufgehoben hatte.

Für EU-Recht ist das BVerfG zuständig

Das OLG begründete im Berufungsverfahren sein Urteil mit den europarechtlichen Vorschriften zum Datenschutz. Es bestehe, so interpretierte die Kammer das geltende EU-Recht, ein Interesse der Öffentlichkeit an dem Eintrag; das Interesse der Klägerin auf Persönlichkeitsschutz müsse zurücktreten. Die sieben Jahre, die seit der ersten Eintragung in der Suchmaschine vergangen waren, seien ohnehin nicht lange genug, um ein Recht auf Vergessen zu begründen. Daraufhin legte die Klägerin Verfassungsbeschwerde ein. Dass das Verfassungsgericht sich überhaupt für zuständig erklärte, obwohl die Beschwerde gerade nicht die Grundrechte im Sinne des Grundgesetzes betrifft, war die erste Überraschung. Die Richter erklärten sich jedoch explizit für die hier vorliegende Verletzung der GRCh im Hinblick auf die Datenschutzrichtlinie 95/46/EG für zuständig. Sie ergebe sich aus Art. 23 Abs. 1 Satz 2 GG.

Stets konkrete Einzelfallbeurteilung

Die Beschwerdeführerin jedoch scheiterte am höchsten deutschen Gericht Zwar werde das Grundrecht auf ein Privatleben (Art. 7 GRCh) und auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten (Art. 8 GRCh) berührt. Dem sei jedoch das Recht des Suchmaschinenbetreibers auf unternehmerische Freiheit gemäß Art. 16 gegenüberzustellen. Diese gewährleiste das Recht, wirtschaftliche Interessen im Rahmen eines freien Wettbewerbs zu verfolgen. Das Persönlichkeitsrecht einer Einzelnen müsse innerhalb eines zulässigen Rahmens in individuell zu beurteilenden Einzelfällen hinter dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit – wiederum ein Grundrecht – zurücktreten. Damit bestätigt das BVerfG das Urteil des OLG (Beschluss vom 6.11.2019, Az.: 1 BvR 276/17).