Die Corona-Masseninfektion beim Fleischverarbeiter Tönnies im Juni 2020 hätte nicht rascher und weiter durch die Medien gehen können. Die Unsicherheit bei anderen in der Region um den Standort Rheda-Wiedenbrück ansässigen Arbeitgeber ließ einige von diesen daraufhin drastische Entscheidung treffen, die nun vor dem Arbeitsgericht Bielefeld verhandelt werden. Es kam wie erwartet: Die ersten Kündigungen wurden bereits kassiert, andere werden wahrscheinlich folgen, wenn nicht noch eine außergerichtliche Einigung erzielt wird.
Spontane Reaktion: fristlose Kündigung
Vor Gericht steht ein Gütersloher Automobilzulieferer, der mehreren Mitarbeitern fristlos gekündigt hatte, weil sie bei Tönnies einen Nebenjob hatten und dieser von ihrem Arbeitgeber nicht explizit genehmigt worden war. Die Tätigkeit war die sonntägliche Reinigung einer Kühlhalle auf dem Firmengelände. Während der Arbeit trugen sie Schutzausrüstung, Kontakt zu den Mitarbeitern in der Produktion hatten sie nicht. Erfahren hatte ihr Hauptarbeitgeber von den Nebenjobs erst nach dem Corona-Ausbruch, als sich alle Beschäftigten von Tönnies auf behördliche Anordnung zwei Wochen in Quarantäne begeben mussten.
Gekündigt wurden mit zwei Begründungen: Die fehlende Genehmigung der Nebenjobs und die in Kauf genommene gesundheitliche Gefährdung von Kollegen. Daneben wurde auch eine mögliche wirtschaftliche Gefahr durch eine Betriebsschließung aufgeführt, sollte Covid-10 in das Unternehmen eingeschleppt werden.
Nebenjob war keine besondere Gefahr
Zwei der Kündigungsschutzklagen hatten Erfolg. Ja, die Arbeitnehmer hätten ihren Chef über den Nebenjob informieren müssen, dieser jedoch hätte die Nebentätigkeit genehmigen müssen, erklärte das Gericht die Rechtslage. Einen Grund, dies nicht zu tun, habe es nicht gegeben. Eine Nebentätigkeit am Sonntag habe keinen Einfluss auf die wochentägliche Hauptarbeit, sei damit vernachlässigbar. Die Pflichtverletzung sei somit nicht so schwerwiegend, dass sie eine Kündigung rechtfertigen könnte – schon gar keine fristlose. Die Kündigung war außerdem schon wegen einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats unwirksam.
Der zweite Aspekt war die Gefährdung durch eine mögliche Coronainfektion. Auch hier stellte sich das Arbeitsgericht vor die entlassenen Mitarbeiter. Von ihnen sei objektiv kein konkretes und erhöhtes Risiko ausgegangen und eine abstrakte Gefahr könne eine Kündigung nicht rechtfertigen. Diese Gefahr hätte erheblich über das allgemeine Lebens- und Infektionsrisiko hinausgehen müssen. Da jedoch grundsätzlich mit Schutzausrüstung gearbeitet worden war und kein Kontakt zu anderen Personen bestanden habe, bestand kein Grund zu einer so drastischen Maßnahme wie einer fristlosen Kündigung.
Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig (AG Bielefeld, Az.: 1 Ca 2701/20 und 2 Ca 1742/20).