Wann wird die Freiwilligkeit des Einen zum Gewohnheitsrecht des Anderen? Anders und konkreter gefragt: Wodurch entsteht die so häufig zitierte betriebliche Übung, aus der Arbeitnehmer ableiten können, dass das im letzten und vorletzten Jahr bezahlte Weihnachtsgeld auch in diesem Jahr zuverlässig auf dem Kontoauszug auftaucht? Und wie verhindern Arbeitgeber, dass aus der finanziellen Anerkennung für Leistungen und dem Teilen positiver Geschäftsergebnisse mit der Belegschaft auch dann eine Verpflichtung wird, wenn die Zeiten schlecht sind? Diese Diskussion kann so manche Weihnachtsfeier trüben. Doch wie ist eigentlich die Rechtslage? Wie so oft: schwammig.
Keine Arbeit, kein Weihnachtsgeld?
Das Bundesarbeitsgericht wollte einmal mehr für Klarheit sorgen und hatte die Klage eines Arbeitnehmers auf dem Tisch, der die Zahlung von Weihnachtsgeld trotz seiner seit mehr als drei Jahren fortdauernden Arbeitsunfähigkeit forderte. Der Arbeitgeber sah nicht ein, dem Kläger für die Jahre 2018, 2019 sowie 2020 auch nur einen Euro zu überweisen. Die Fakten, die das BAG zur Verfügung hatte, lassen darauf schließen, dass das Unternehmen ohne auf individuelle oder betriebliche Gesichtspunkte einzugehen, seit 2003 – dem Eintritt des Klägers in den Betrieb – regelmäßig mit dem Novembergehalt ein Weihnachtsgeld ausbezahlte. 2017 erhielt der Mann letztmals die seit 2010 jährlich überwiesenen 1.500 Euro brutto mit dem Hinweis in der Lohnabrechnung, dass die Zahlung freiwillig geleistet werde. Darüber hinaus hatte der Geschäftsführer in einer Mail ein weiteres Mal die Freiwilligkeit betont sowie die Faktoren „Arbeitsleistung, Zuverlässigkeit und Fehlzeiten“ als Grundlage genannt.
Der Kläger widersprach und führte aus, dass keine erkennbaren Bedingungen mit der Zahlung verknüpft gewesen seien. Damit stünde eine vorbehaltlose regelmäßige Zahlung im Raum, wodurch sein Anspruch auf Weihnachtsgeld in jedem Jahr entstanden sei. Dass er arbeitsunfähig sei, wäre im Übrigen unerheblich. Das wiederum wollte der Arbeitgeber so nicht stehenlassen und belegte, dass er 2010 lediglich ein Weihnachtsgeld von 400,00 Euro brutto gezahlt hatte, weil der Mitarbeiter durch erhebliche Fehlzeiten auf sich aufmerksam gemacht habe. Die lange Arbeitsunfähigkeit habe ab 2018 den Anspruch ganz erlöschen lassen, so die Rechtsauffassung des Unternehmensanwalts.
Arbeitsgericht erkennt Zahlungspflicht
Der Streit ging nach dem Urteil des Arbeitsgerichts, das dem Kläger 2.850,00 Euro brutto zuzüglich Zinsen zugesprochen hatte, in die nächste Runde: Der Arbeitgeber hatte Revision beim Landesarbeitsgericht eingelegt. Das LAG schloss sich den Argumenten des Beklagten an und wies die Klage ab. Kein Rechtsanspruch, kein Weihnachtsgeld, so der knappe Tenor des Urteils. Diesmal ging der Kläger in Revision und wollte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erreichen – also die im Urteil genannte Zahlung von 2.850,00 Euro.
Landesarbeitsgericht weist Revision ab
Nun war das Bundesarbeitsgericht an der Reihe – und gab dem Kläger weitgehend recht. Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Weihnachtsgeld für 2018 bis 2020 folge aus der sogenannten betrieblichen Übung. Diese steht zwar in keinem Gesetz und gilt demnach als von Gerichten geschaffenes Recht, darauf berufen jedoch kann man sich. Die Beklagte, so die Kammer, habe an alle Arbeitnehmer jährlich ein Weihnachtsgeld gezahlt und das ohne weitere Erklärung. Dass die Zahlung als freiwillig bezeichnet wurde, ist zu wenig für eine Beurteilung als individuelle Zusatzleistung. Dass Weihnachtsgeld zu bezahlen ist, war damit geklärt. Lediglich der Umfang der Zahlungen und das Vorliegen etwaiger Anspruchskriterien müsse geklärt werden.
Bundesarbeitsgericht klärt den Sachverhalt
Die Höhe des Weihnachtsgeldes dürfe auch dann variieren, wenn dem Grunde nach ein Anspruch gegeben wäre, erklärten die Richter. Damit könne ein Arbeitgeber verdeutlichen, dass er jährlich aufs Neue entscheiden wolle, wie hoch die Zahlung ausfalle. Daran seien dann betriebliche oder persönliche Bedingungen zu knüpfen. Keine Bedingung aber könne die grundsätzliche Erbringung von Arbeit im entsprechenden Kalenderjahr sein. Weihnachtsgeld sei in der Regel gerade keine Belohnung für besondere (oder überhaupt) Leistungen, denn dies wäre eine Gratifikation, die in der Regel höher ist als lediglich die Hälfte eines Monatsentgelts und zudem in der Höhe schwanken würde. Im Allgemeinen werde unter Weihnachtsgeld der Grund verstanden, sich an den anlassbezogenen höheren Kosten der Arbeitnehmer zu beteiligen. Dazu gehöre nicht mehr als das reine Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Eine Kürzung des Weihnachtsgeldes sei grundsätzlich zwar möglich, erfordere jedoch eine entsprechende Vereinbarung. So müsse im Arbeitsvertrag eine entsprechende Klausel aufgeführt sein, die etwa bei längerer Abwesenheit eine entsprechende Reduzierung der Zahlung vorsehe.
Praxistipp: Klare Regelungen treffen
Mit diesem Urteil werden Arbeitgeber dafür sensibilisiert, klare Regelungen zu treffen und sich mehr Mühe bei den Vereinbarungen zum Arbeitsverhältnis zu geben. Dass ein Arbeitsvertrag per Handschlag geschlossen werden kann (nicht aber gekündigt), bedeutet nicht, dass das schriftliche Niederlegen des mündlich Vereinbarten obsolet ist. Nachlässigkeit kann im Arbeitsrecht teuer werden, wie dieses Urteil einmal mehr belegt (BAG Az.: 10 AZR 116/22).