Kritik an der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU)

Zum 1. Januar 2023 tritt eine Regelung in Kraft, die selbst im Zusammenhang mit Digitalisierung positiv denkenden Unternehmern und Personalverantwortlichen graue Haare wachsen lassen: die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Eigentlich soll sie auf allen Seiten für Vereinfachung sorgen und die für 2023 geschätzten 77 Millionen Krankmeldungen schneller abwickeln. Doch man braucht nur wenig Fantasie, um für die ersten Monate das Gegenteil zu erwarten. Eine rasche Umfrage unter kleineren Betrieben ergab, dass die eAU noch kein Thema, oft nicht einmal bekannt ist.

Wer hat welche Pflichten? Wie ist in der Praxis zu verfahren? Wo stecken die Fallen? Wo findet man Rat und Unterstützung? Wir bringen Licht ins Dunkel.

Voraussetzungen und Vorgehen

Die eAU gilt nur für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer und Minijobber, für Privatversicherte ist sie noch nicht vorgesehen. Auch wenn die Krankschreibung im Ausland erfolgt, bleibt es bei der dreiteiligen Papierform für Krankenkasse, Arbeitnehmer und Arbeitgeber. 

  1. Die Arztpraxis oder das Krankenhaus stellt die Arbeitsunfähigkeit fest und meldet diese mit Beginn, voraussichtlichem Ende und Diagnose der Krankenkasse. Kommt es zu länger als 24 Stunden andauernden Übermittlungsproblemen, muss die eAU ausgedruckt und postalisch verschickt werden. Über die erfolgreiche Übermittlung erfolgt voraussichtlich eine automatische Bestätigung; zusätzlich wird es bei manchen Krankenkassen möglich sein, eine Empfangsbestätigung anzufordern. Die eAU gilt jedoch auch dann als erfolgreich zugestellt, wenn keine Fehlermeldung erscheint. Bis fünf Werktage nach der Ausstellung kann eine Korrektur oder Stornierung durch den Aussteller vorgenommen werden. 
  2. Der Patient erhält eine Kopie der Krankmeldung in Papierform für seine Unterlagen. Diese gilt als Beweismittel, sollte also unbedingt auch noch einige Zeit nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit aufgehoben werden. Empfehlenswert sind drei Jahre.
  3. Der Arbeitnehmer hat sich wie bisher umgehend beim Arbeitgeber beziehungsweise beim zur Entgegennahme der Meldung bevollmächtigten Vorgesetzten krankzumelden und die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen. Eine Übersendung der AU ist nicht mehr nötig. Der Ausdruck, den er beim Arzt bekommen hat, ist ein ausschließlich für den Patienten bestimmtes, vertrauliches Dokument, das aus Datenschutzgründen nicht in die Hände des Arbeitgebers gelangen darf.
  4. Der Arbeitgeber ruft bei der Krankenkasse die Daten zur Arbeitsunfähigkeit ab. Eine automatische Übermittlung seitens der Krankenkasse ist nicht vorgesehen.
    • Die Daten beinhalten:
      – den Namen des Beschäftigten
      – den Beginn und das Ende der Arbeitsunfähigkeit
      – das Datum der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit
      – die Kennzeichnung als Erst- oder Folgemeldung
      – eine Angabe dazu, ob ein Arbeitsunfall oder sonstiger Unfall vorliegt

Mehrere Schwachstellen im System

Was nach sinnvollem Papiersparen klingt, wird voraussichtlich in der Praxis zu Chaos führen, das vermeidbar wäre. Kritische Punkte beginnen beim Ausstellen und Übermitteln der eAU. Klappt die Übermittlung nicht oder ist die eAU fehlerhaft, wird wertvolle Zeit bis hin zu mehreren Tagen verloren. Bei den Krankenkassen ist eine einfache händische Korrektur oder Änderung nicht möglich, es hat also jeder Vorgang in der Praxis zu beginnen. 

Die rechtzeitige, in der Regel unverzügliche Krankmeldung durch den Arbeitnehmer mag arbeitsrechtlich nicht angreifbar durch einen Anruf – ein Zeuge ist hier im Übrigen stets hilfreich – oder eine elektronische Nachricht erfolgt sein. Doch diese damit korrekt ausgeführte Mitwirkungspflicht stellt für den Arbeitgeber lediglich eine Information dar. Rechtsfolgen entstehen erst, wenn er die Daten bei der Krankenkasse abruft und intern verarbeitet. Gelingt dieses Abrufen nicht, weil (noch) keine Daten vorhanden sind, diese fehlerhaft oder unvollständig sind oder nicht dem entsprechen, was der Arbeitnehmer gemeldet hat, muss telefonisch nachgefragt werden. Zwar bleibt die Anfrage 14 Tage im System der Krankenkasse und es soll eine automatisch generierte Rückmeldung geben, wenn die eAU eintrifft, doch ob die Krankenkassen für Nachfragen personell aufgestockt haben und inwieweit in fehlerhafte Daten eingegriffen werden kann, ist unklar. Klar ist jedoch, das Ganze kostet Zeit, in der alle Beteiligten in der Schwebe hängen. Und es kostet Geld.

Konflikte sind vorprogrammiert

Zu folgenreichen Abrechnungsschwierigkeiten und Fristverletzungen kann es kommen, wenn die Entgeltfortzahlung betroffen ist. Solange das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein vertrauensvolles ist, mag es sich um reine Ärgernisse handeln. Wenn jedoch bereits Konflikte bestehen, kann es zu arbeitsrechtlichen Eskalationen führen, die unnötig sind, denn mit etwas Praxisnähe und einem einfachen „Kniff“ könnte die eAU ein Erfolg werden:

Beim Arzt sollten die Kontaktdaten des Arbeitgebers verarbeitet werden dürfen, damit diesem die Krankmeldung unmittelbar und parallel zur Krankenkasse zugestellt werden kann. Datenschutzgründe sollten bei Ärzten, die ohnehin der gesetzlichen Schweigepflicht unterliegen, kein Gegenargument sein. (Die Frage, ob Krankenhäuser und Arztpraxen überhaupt über die notwendige technische Ausstattung verfügen, die eAU wie gesetzlich gefordert umzusetzen, soll an dieser Stelle nicht diskutiert werden.)

Alternativ oder zusätzlich könnte bei der Krankenkasse ein entsprechender Automatismus installiert werden, denn da Arbeitgeber sowie Arbeitnehmer hier bekannt sind, könnte die eingehende eAU automatisch an den Betrieb geschickt werden. Damit wäre die Pflicht des Arbeitgebers aufgehoben, den Daten des Arbeitnehmers „hinterherzurennen“.