Die Umsatzsteuersenkung ist kein Grund zur Freude

Im Rahmen ihres Konjunktur- und Krisenbewältigungspakets hatte die Regierung am 3.6.2020 verkündet, den Umsatzsteuersatz vom 1.7.2020 bis 31.12.2020 von 19 auf 16 Prozent beziehungsweise von 7 auf 5 Prozent zu senken. Der Bundesrat segnete das in der Geschichte des heutigen Umsatzsteuersystems mit Vorsteuerabzug einmalige Gesetz ab, obwohl es mehr Fragen und Probleme aufwirft, als es letztlich Nutzen bringen wird.

Erinnerungen werden wach …

Die Frage, ob eine Umsatzsteuersenkung in Zeiten von coronabedingter Kurzarbeit, befürchteter Arbeitslosigkeit und Insolvenzangst für kurzfristige Nachfragebelebungen überhaupt ein Mittel zur Investitions- und Konsumförderung sein kann, soll hier außen vor bleiben. Die Umsetzung der befristeten Regelung allein sorgt schon für genug Gesprächsstoff. Wer sich noch an die letzte Änderung zum 1.1.2007 erinnert, weiß, dass die Erhöhung des Regelsteuersatzes von 16 auf 19 Prozent für einigen Aufwand in den Unternehmen, bei Softwareanbietern, bei Steuerberatern und nicht zuletzt bei den Finanzbehörden sorgte. Verschiedene Auslegungs- und Abgrenzungsfragen beschäftigten Unternehmen und Steuerfachleute sowie in der Folge die Finanzgerichte über mehrere Jahre hinweg. Nun soll sich das Ganze wiederholen. Aufgrund der temporären Regelung sind jedoch nicht nur einmalige Probleme wie damals zu erwarten, sondern eine Potenzierung. 

Spielt die verwendete Software mit?

Da die Senkung der Umsatzsteuer zeitnah erfolgen wird, sollten sich Unternehmen umgehend mit ihren Softwareanbietern in Verbindung setzen, um zu klären, welche Schritte erforderlich sind, um eine korrekte Rechnungsstellung zu gewährleisten. Da nicht wenige Unternehmen mit älteren Fakturierungsprogrammen arbeiten, wird unter Umständen eine Neuanschaffung notwendig. Zudem müssen in den Buchhaltungen zusätzliche Erlös- und Kostenkonten angelegt und entsprechend bebucht werden, um bei den Jahresabschlüssen 2020 und 2021 korrekte Abgrenzungen vornehmen zu können. Welche Leistungsarten werden aber in der Praxis im Fokus stehen?

  • Leistungen an vorsteuerabzugsberechtigte Unternehmen und Selbstständige werden in der Praxis weniger kritisch bei der Fakturierung sein, sofern die Rechnung korrekt ausgestellt wird. Dennoch sollte darauf geachtet werden, dass das Leistungsdatum in der entsprechend dem ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrag liegt. 
  • Leistungen an nicht Vorsteuerabzugsberechtigte müssen mit dem korrekten Liefer- und Leistungsdatum erfasst und mit dem innerhalb des entsprechenden Zeitraums jeweils gültigen Mehrwertsteuersatzes verrechnet werden. Da keine Vorsteuer gezogen werden kann, würden dem Fiskus Einnahmen entgehen, was mit Sicherheit in den nächsten Jahren Prüfungsgegenstand sein wird. 

Die Anwendung des maßgeblichen Steuersatzes ist unabhängig davon, ob Umsätze nach vereinnahmten Entgelten (Ist-Besteuerung) oder nach vereinbarten Entgelten (Soll-Besteuerung) besteuert werden; es betrifft also alle Selbstständigen und Unternehmer in gleichem Maße. Relevant ist nur, wann die zu fakturierende Leistung erfolgte oder Lieferung ausgeführt wurde. 

Wann aber sind Leistungen und Lieferungen ausgeführt? Wie sind Anzahlungen und Vorauszahlungen sowie Dauerleistungen zu behandeln? Und was gilt für Bauleistungen?

  • Die Ausführung von Leistungen (auch Werkleistungen) ist definiert als der Zeitpunkt ihrer Vollendung. Zeitlich begrenzte Dauerleistungen gelten mit dem Ende eines Leistungsabschnitts ausgeführt. Ausnahmen gelten für Teilleistungen.
  • Die Ausführung von Lieferungen (auch Werklieferungen) wird dann angenommen, wenn der Erwerber die Verfügungsmacht an dem Gut erworben hat. Beim Transport gilt die Ausführung mit Beginn der Beförderung oder der Übergabe an ein Logistikunternehmen als erfolgt
  • Eine Teilleistung muss eine objektiv wirtschaftlich sinnvoll abgrenzbare Leistung darstellen. Daneben muss eine Vereinbarung über die Ausführung der Leistung als Teilleistungen vorliegen und die Teilleistung hat gesondert abgenommen und abgerechnet zu werden.
  • Anzahlungen oder Vorauszahlungen sind nach dem Datum der endgültigen Leistung oder Lieferung zu besteuern. So ist eine zwischen 1.7.2020 und 1.12.2020 geleistete Anzahlung zwar zunächst mit 16 Prozent zu besteuern, wird der erworbene Gegenstand jedoch erst 2021 geliefert, muss er mit 19 Prozent berechnet werden. Die Korrektur der ausgewiesenen Mehrwertsteuer erfolgt beim Lieferanten wie beim (vorsteuerabzugsberechtigten Kunden) in der Umsatzsteuervoranmeldung des Zeitraums, in dem die Anzahlung geleistet oder in der, in der das restliche Entgelt gezahlt wurde.
  • Dauerleistungen, also ununterbrochene, sachlich identische Geschäftsbeziehungen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, müssen dahingehend geprüft werden, ob es sich um eine einzige Leistung oder um Teilleistungen handelt. Letztere müssen entsprechend dem jeweils zum Leistungszeitraum geltenden Umsatzsteuersatz berechnet werden. Einheitliche Dauerleistungen sollten für den Zeitraum von 1.7.2020 bis 31.12.2020 vertraglich angepasst werden. Im Zweifel wird der normale Mehrwertsteuersatz geschuldet.
  • Bauleistungen stellen wie so oft besondere Herausforderungen dar. In der Praxis liegen nur selten die steuerrechtlichen Voraussetzungen für Teilleistungen vor, auch wenn wirtschaftlich abgrenzbare Leistungen ausgeführt und abgenommen sowie bezahlt werden. Der Versuch, eine Vereinbarung für Teilleistungen nachzuholen und beim Finanzamt einzureichen, kann jedoch von Erfolg gekrönt sein. Einheitliche Bauleistungen unterliegen als gesamte Leistung unabhängig etwaiger geleisteter Vorauszahlungen dem zum Zeitpunkt der Abnahme geltenden Umsatzsteuersatz. Hier kann also mit geschickter Planung viel Geld gespart werden.

Abgesehen von diesen Herausforderungen werden vermeintlich kleinere Aspekte in der Praxis zu Problemen und Verschiebungen führen – und zu einem Mehr an administrativem Aufwand und damit auch zu einem Mehr an Kosten.

  • Pfandsysteme und Gutscheine könnten im Zeitraum der Umsatzsteuersenkung mehr kostenintensive Probleme aufwerfen, als sie zwischen Unternehmen wirtschaftlich von Bedeutung sind. Es kann allein aus finanziellen Gründen empfehlenswert sein, die Rückgabe von Gegenständen mit Pfand zu verschieben.
  • Bewirtungs- und Verpflegungsbelege unterliegen bis 30.6.2020 einem Umsatzsteuersatz von 19 Prozent, ab 1.7.2020 wird dieser auf 5 Prozent reduziert, vom 1.1.2021 bis 30.6.2021 auf 7 Prozent erhöht und danach wieder dem allgemeinen Umsatzsteuersatz von 19 Prozent unterworfen. Es ist also penibel darauf zu achten, dass die Belege buchhalterisch korrekt erfasst werden.
  • Lieferungen könnten vor dem 30.6.2020 mit 19 Prozent Mehrwertsteuer fakturiert werden und aufgrund einer leicht verspäteten Übergabe an ein Logistikunternehmen (Tag der Ausführung) mit 16 Prozent Mehrwertsteuer umsatzsteuerpflichtig sein. Diese Verzögerung würde den Lieferanten mit einer Umsatzsteuerschuld aufgrund der Differenz aus einer unrichtigen Rechnung belasten: Er müsste die Rechnung korrigieren, der Kunde aber darf den vollen Vorsteuerbetrag abziehen. Ob hier seitens der Finanzbehörden eine Vereinfachungsregelung eingeführt wird, wird sich zeigen.
  • Längerfristige Verträge müssen daraufhin geprüft werden, ob der Vertragspartner vorsteuerabzugsberechtigt ist oder nicht und wann die Vereinbarungen geschlossen wurden. Hier ist eine Viermonatsfrist vor Eintritt der Rechtsänderung zu beachten, um einen Ausgleich von Nachteilen aus der Umsatzsteueranpassung erreichen zu können. Da dies stets individuell zu prüfen ist, ist der Steuerberater der Ansprechpartner der Wahl.

Ob all diese praktischen Auswirkungen – wobei hier nur einige der wichtigsten thematisiert wurden – bei den Beratungen zum Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket bedacht wurden, darf bezweifelt werden. Im unternehmerischen Alltag wird es um eine saubere zeitliche Abgrenzung gehen müssen und um eine offene Kommunikation mit Lieferanten und Kunden. Nicht zuletzt kann in besonderen Fällen eine fristlose Kündigung von Verträgen in Form einer Änderungskündigung in Erwägung gezogen werden, um durch Neuabschlüsse steuerrechtliche Probleme zu vermeiden. Vor allem an nicht vorsteuerabzugsberechtigte Kunden sollte dabei gedacht werden.